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Die Frage, ob so etwas wie „Wahrheit“ existiert und wenn, wie sie dann aussieht, bewegt die Gemüter seit Menschengedenken. In letzter Zeit scheint sich dabei mehr und mehr die Ansicht durchzusetzen, dass es einen „Sachverhalt an sich“ überhaupt nicht gibt, sondern dass alles von der persönlichen Einstellung abhängt.

Moderner Relativismus

Empfindungen scheinen das Maß aller Dinge zu sein. Angefangen von der Frage nach Schönheit, die bekanntlich im Auge des Betrachters liegt, über ethische Bewertungen, nach denen etwas nur in Bezug auf das Einverständnis der Beteiligten klassifiziert werden kann und eine Handlung nicht unabhängig von den Betroffenen gut oder schlecht sein darf, ist die politische Debatte mittlerweile bei den Naturwissenschaften angelangt.

Biologische oder physikalische Gesetze werden nur noch akzeptiert, wenn sie ins ideologische Bild passen. Als Wissenschaft gilt, was den Mächtigen zuspielt, wie der Ausruf „Follow the science!“ anschaulich belegt, demzufolge nur noch Lehrsätze gelten, die autoritär von einem Kreis ausgewählter „Experten“ verkündet werden.

Dabei wird nicht selten der Spagat vollzogen, auf der einen Seite zu behaupten, eine Wahrheit gäbe es überhaupt nicht und gleichzeitig auf der anderen Seite unhinterfragbare Wahrheiten zu verkünden, auch wenn diese je nach aktueller Mode angepasst werden. So genannte Faktenchecker sind flexibel in der Lage, beides mit der nötigen Autorität vorzutragen.

Das Argument der Retorsion

Im Grunde wird so wieder einmal versucht, das Problem der Retorsion zu umschiffen. Dabei handelt es sich um den „Widerspruch im Vollzug“, den man begeht, wenn man beispielsweise erklärt, es gäbe keine Wahrheit. Ein solcher Satz behauptet ja immer von sich, selbst etwas Richtiges auszudrücken, sogar dann, wenn man versucht, ihn mit einfachen Tricks abzusichern, denn wie auch immer man ihn einschränkt, wenn man ein „für mich“ einfügt oder von „absoluter Wahrheit“ spricht, immer steht man auf dem unhinterfragbaren Anspruch der eigenen Aussage.

Gesteht man die Existenz von „Wahrheit“ ein, weil man sie eh nach belieben zu ändern gedenkt, wie es der moderne Relativismus tut, bedient man sich in ähnlicher Weise an Taschenspielertricks, denn auch wenn man „seine Wahrheit“ leichtfertig zu ändern bereit ist, so vertritt man doch den Anspruch, dass diese von anderen zu glauben sei, zumindest solange man sie selbst als gültig erachtet. Nicht wenige „Aktivisten“ geben hierfür eindrucksvolle Beispiele ab.

Plausibilität

Natürlich bedeutet die Erkenntnis, dass ein Sachverhalt wahr oder falsch sein kann nicht, dass man die Wirklichkeit gleich und eindeutig erkennt. Indem wir uns mit eigenen Erfahrungen, zu einer konkreten Zeit und aus einem bestimmten Blickwinkel einer Sache nähern, entstehen immer persönliche Eindrücke, die den Blick zum Teil verstellen und das Verständnis erschweren. Vor allem aber können wir unsere Erkenntnis nur ganz selten auf primäre Sinneswahrnehmungen stützen, der größte Teil dessen, was wir zu wissen glauben, gründet sich auf Hörensagen, auf Literatur und Lehre.

Ob das, was wir für richtig halten, tatsächlich wahr ist, ist nur selten überprüfbar und auch für andere oft nicht einsichtig, speziell, wenn diese aus komplett anderen Verhältnissen stammen. Plausibilität ist in der Regel das Maximum dessen, worauf wir unser Weltbild gründen. Was zu unseren Erfahrungen passt, was wir durchdacht haben und was uns schlüssig erscheint, darauf gründen wir unsere Hoffnungen und Ängste, danach richtet sich unser Streben. Wie weit das alles objektiv gesehen stimmt, oder ob wir uns in einer Blase befinden, wie man neudeutsch sagt, ist kaum zu erkennen.

Immer wieder treffen wir auf Menschen, denen ganz andere Aspekte des Daseins wichtig sind, die uns sogar in unseren Grundansichten widersprechen und deren Leben dennoch irgendwie zu funktionieren scheint. Die Erkenntnis, dass anderen Menschen anderes plausibel ist als einem selbst, ist einer der wichtigsten Schritte zur menschlichen Reife und sie ist Grundbedingung dafür, dass wir auch mit jenen gut auskommen, die uns in vieler Hinsicht fremd sind.

Reaktion auf Axiome / innere Konsistenz

Natürlich muss unsere Erkenntnis aber nicht völlig im Subjektiven bleiben. Wenn gegensätzliche Meinungen aufeinandertreffen, ist immer mindestens eine davon falsch, vielleicht sogar alle. Um herauszufinden, welche Aussagen valide sind, bieten sich traditionell zwei Ansätze an: Rückführung einer Aussage auf ihre Prämissen und die Prüfung, ob logisch sauber argumentiert wird.

Falls jemand zum Beispiel die Position vertritt, dass der Strafvollzug bei Menschen nicht anzuwenden sei, da jeder Einzelne als Produkt seiner genetischen Beschaffenheit, sowie der äußeren Prägung sein und darum nicht schuldfähig sein kann, dann herrscht hier ein Menschenbild vor, das keine persönliche Freiheit und Verantwortung voraussetzt. Vertritt derselbe Mensch in anderem Kontext die Position, dass man sich aufgrund der Menschenwürde für die freie Entfaltung und Selbstverwirklichung bestimmter Gruppen einsetzen solle, greift er hier auf ein Menschenbild zurück, welches Freiheit und Verantwortung impliziert. Hier ist dann die Frage angebracht, wie es denn um das Wesen des Menschen tatsächlich bestellt ist.

Aussagen widerspruchsfrei auf ihre Axiome zurückzuführen, zeigt, auf welchen Füssen die eigene Ansicht steht und ob man das, worauf man aufbaut, auch tatsächlich für wahr hält. Der Wechsel des Kontexts, auf ein gewünschtes Ziel hin, Scheinargumente, die sich nicht sauber von soliden Prämissen ableiten lassen, sondern eher Stimmungen bedienen, werden durch eine klare Methodik schnell erkannt.

Es lohnt sich bei Aussagen über die Wirklichkeit, insbesondere wenn sie mit moralischen Ansprüchen verknüpft werden, danach zu suchen, in welcher Tradition sie stehen, selbst wenn man vermutet, dass sich der Verfasser ihrer gar nicht bewusst ist:
Setzt die Argumentation auf eine teleologische oder auf eine deontologische Position auf?
Ist eine Aussage religiös motiviert und wenn ja, von welcher Religion?
Werden direkte Erlebnisse geschildert, oder Zusammenhänge erklärt?
Lässt die vorgegebene Interpretation auch andere Schlüsse zu, oder ist sie tatsächlich zwingend?
Vor allem aber ist die Motivation des Vortragenden nicht uninteressant. Werden die Aussagen durch Gefühle dominiert? Sind sie von Angst, Sehnsucht oder einem Harmoniebedürfnis geleitet, oder passen sie konsequent zu einem definierten Weltbild?

Sehr häufig werden Beweise und Schlüsse aus dem Hörensagen übernommen oder von Autoritäten abgeleitet, ohne den Kontext genauer zu berücksichtigen und mögliche Unstimmigkeiten werden gern durch geschickte Rhetorik kaschiert, wenn sie denn ins eigene Narrativ passen.

Recherche in Zeiten von KI

Argumente, die sich überzeugend anhören, sind heute in Zeiten, in denen künstliche Intelligenzen Texte schreiben, leicht zu generieren. Man gibt ein Thema vor und lässt sich Belege für die eigene Position zusammentragen, eine Analyse oder gar die Auseinandersetzung mit Gegenthesen findet nicht statt. Was nicht ins Bild passt, wird einfach nicht thematisiert und ob unterschiedliche Aussagen konsistent zusammenpassen, wird nicht untersucht.

Es ist davon auszugehen, dass immer mehr Texte, die man im Internet oder auch in klassischen Medien zur Verfügung gestellt bekommt, vielleicht nicht gänzlich, aber doch häufig, mit erheblichem Zutun von Software erstellt werden, die Beiträge anforderungsgemäß aus den großen Datenbanken zusammenträgt und in grammatikalisch saubere, überzeugende Schriftsätze transformiert. Erkennen werden wir die Herkunft dieser Texte meist nicht, denn auch Menschen sind in der Lage all die Fehler zu begehen, die eine solche Software begehen kann.

Wenn man sich selbst derartiger Suchmaschinen bedient, kann dies nur sinnvoll in dem Bestreben geschehen, einen groben Überblick über gängige, im Netz verfügbare, Stichworte zum Thema zu erlangen. Schnell können die ersten Antworten Rückschlüsse auf die Qualität eigener Fragen geben, die Ergiebigkeit von Quellen prüfen und eine grobe Richtung aufzeigen.

Will man sich mit einem Thema jedoch näher beschäftigen, dann tut man gut daran, sich in die Thematik selbst einzuarbeiten. Bei Kurzinformationen, wenn man über aktuelle Geschehnisse kurz und präzise informiert werden will, sollte man nach Augenzeugen suchen und nach Möglichkeit mit ihnen ins Gespräch kommen, oder sich mit ihnen als Quelle befassen. Geht es um historisches Wissen, sollte man die Quellen prüfen. Gibt eine KI keine Quellen an, sind die Resultate mit äußerster Vorsicht zu genießen. Je nach Interesse bietet es sich für nahezu jedes Gebiet an, nach Literatur aus Forschung oder nach altem zeitgenössischem Quellmaterial zu suchen.

Ebenso kommt man bei wissenschaftlichen Ergebnissen nicht umhin, sich mit der Methodik vertraut zu machen, Primärquellen einzusehen und wo möglich, wenn es das Thema erlaubt, vorhandene Daten ohne Rückgriff auf fremde Aufbereitung als Rohmaterial einzusehen, wenn man sich ein möglichst neutrales Bild machen möchte. Da dies natürlich nicht überall möglich ist, sollte man sich zumindest mit dem Datenprovider auseinandersetzen und diesen in Bezug auf seine Vertrauenswürdigkeit hin untersuchen.

Nun könnte man meinen, diese Arbeit solle einem die moderne KI ja gerade abnehmen. Der Zugriff auf schier unendliche Datenmengen, in einer Geschwindigkeit, die kein Mensch auch nur annähernd zustande bringen kann, bürge für einen objektiven Überblick über das Wissen der Menschheit, doch das ist ein Trugschluss. Die brachliegenden Daten, die man im Netz sammeln kann, bedeuten wenig in Bezug auf die Erkenntnis eines wahren Sachverhaltes. Die Erkenntnis entsteht im menschlichen Bewusstsein und nur dort kann sie bewertet werden.

Zwar kann die KI helfen, Informationen zusammenzutragen, aber wir können nie wissen, was alles zu dem von ihr gelieferten Ergebnis geführt hat. Wir wissen weder, ob die Daten vollständig sind, noch, ob sie nicht auch dritten Zwecken unterliegen, z.B. demjenigen, der die KI betreibt. Wollen wir also eine eigene Erkenntnis über die Welt gewinnen, in der wir leben, müssen wir, wie immer schon, das Wissen selbst aneignen. Wir müssen die vielen Informationen, die sich uns zeigen (und durch die moderne Technik kommt eine wahre Flut von Informationen zusätzlich auf uns zu) ordnen und in ein logisches System bringen, das uns in die Lage versetzt, sie zu bewerten.

Tun wir das nicht, lassen wir uns von der Technik bedienen, werden wir verlernen, eigene Erkenntnisse zu gewinnen, und uns immer weiter an fremde Vorgaben hängen und so Schritt für Schritt die Freiheit des eigenen Denkens aufgeben.

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